Ferdinand von Saar: Novellen aus Österreich
Geschichte eines Wienerkindes
Auszüge:
(Bei der Hochzeit): …und das junge Paar mit einem zahlreichen Anhang in die Kirche trat, da ging ein vernehmbares Murmeln der Bewunderung durch den Raum und aller Augen folgten der Braut, die in der Tat einen entzückenden Anblick darbot. Hohen Wuchses den Bräutigam etwas überragend, schritt sie an seinem Arm, bleich vor innerer Erregung,
mit gesenktem Haupte dem Altare zu. Der wallende Schleier, der Myrthenschmuck im dunkelblonden Haar, das matte Weiß des Hochzeitskleides gaben der kräftig schlanken Gestalt etwas sanft Verklärtes, und als sie jetzt aufblickte, schimmerten ihre Augen hell wie Gold.
(Erinnerung) An einem Fenster des ersten Stockwerkes, in welchem die Eigentümerin wohnte, gewahrte ich nun öfter das reizende Profil eines Mädchens, das hinter einer Reihe wohlgepflegter Blumentöpfe saß.
Zum ersten Male hatte ich ihre hohe, schlanke Gestalt ganz vor Augen und konnte die harmonischen Gliederbewegungen, die kräftig ausschreitenden Füßchen und die dichte Fülle des Haares bewundern …
Sie blickte mich leicht von der Seite an und brach dann in ein klingendes Lachen aus. „Entschuldigen Sie sich doch nicht gar zu sehr“, sagte sie. „Wir sind ja alte Bekannte, denn Sie gehen täglich an unserem Hause vorüber. Aber wer sind sie eigentlich?“ …
„Ich bin ein Schriftsteller.“ …
„Also ein Dichter!“ sagte sie spöttisch. Aber das tut nichts; Sie sehen gar nicht danach aus. Für heute übrigens“, setzte sie kurzweg hinzu, „müssen wir uns trennen; mein Weg führt mich nach einer ganz anderen Richtung, und begleiten dürfen Sie mich nicht. Wenn Sie aber wieder mit mir zusammentreffen wollen, so kommen Sie einmal zu Schwott (Tanzschule).
(So also kamen die beiden einander näher und es knisterte! Aber gut Ding braucht Weile.)
(Nach einiger Zeit des Aufenthaltes des Dichters in anderen Gegenden kommt er wieder nach Döbling. MB)
(Er trifft den alten Gemeindesekretär, der vor zwei Monaten in Pension geschickt wurde)
„Ja“, fuhr der Alte in wehmütigem Ton fort, „die schönen alten Zeiten sind vorüber, und unser liebe Döbling nimmt eine andere Gestalt an. Schon heute ist es kaum mehr zu erkennen – geben Sie acht, in einigen Jahren wird es ganz und gar mit der Stadt zusammengewachsen sein. Hoffentlich erleb ich das nicht mehr“.
Ich suchte ihn zu trösten und erkundigte mich … unter anderem nach den Stadlers (Familie des Wienerkindes, MB).
„Die Stadlers? Ja wissen Sie denn nicht, dass der Jüngere gestorben ist?“
„Gestorben?“
„Jawohl, - es war eine recht traurige Geschichte.!
„Wieso?“
„Sie haben also gar nichts davon gehört? Seine Frau ist ihm durchgebrannt. Mit diesem Herrn Röber, dem sogenannten Fabrikdirektor. An den müssen Sie sich ja noch erinnern. Eines schönen Morgens war sie fort. Mann und Kinder im Stich lassend. Alle ihre Pretiosen hat sie mitgenommen … ER hat seinen Kindern zuliebe alle aufgeboten, sein schweres Schicksal mit männlicher Kraft zu tragen – und es war ihm auch so ziemlich gelungen. Da, eines Tages – sechs Monate ist es jetzt her – steht er dort an jenem Billard und spielt wie gewöhnlich nach Tisch. Plötzlich fällt ihm die Queue aus der Hand, mit der anderen fährt er nach der Stirn – und sinkt lautlos zu Boden. Der Schlag hatte ihn getroffen.“
„Und die Kinder?“ fragte ich nach einer Pause.
„Mit denen ist es auch eigentümlich gegangen. Selbstverständlich hat sie der Bruder zu sich genommen, dessen Frau ihm keine Nachkommenschaft geschenkt hat. Da wären sie auch ganz gut aufgehoben gewesen. Aber bald darauf erkrankten sie, fast gleichzeitig, am Scharlach. Als sie beinahe schon genesen waren, trat Diphtheritis hinzu – und beide starben in einer Nacht.“
Wir unterbrechen den Fortgang der Novelle, um den Lebenslauf von Ferdinand von Saar einzufügen.
Ferdinand Saar stammte aus einer 1793 geadelten Beamtenfamilie.[1] Der Vater starb jedoch kurz nach Ferdinands Geburt. Die Mutter zog zurück in ihr Elternhaus, wo Saar zusammen mit seinem Vetter, dem späteren bildenden Künstler August von Pettenkofen, erzogen wurde. Er besuchte in Wien die Volksschule, dann die Stadtschule der Schotten und ab 1843 deren Gymnasium. 1849 trat er in das Heer ein und wurde 1854 Leutnant. 1860 beendete er seine Offizierslaufbahn, um sich der Literatur zu widmen. Hohe Schulden aus seiner Militärzeit führten jedoch in den Folgejahren zu mehreren Haftstrafen. 1871 wurde er durch adlige Gönnerinnen aus der drückendsten Not befreit. 1877 brachten die Novellen aus Österreichbreitere Anerkennung. Zum größten Publikumserfolg wurden 1893 die Wiener Elegien. Drei Jahre zuvor hatte Saar den Franz-Joseph-Orden verliehen bekommen, 1902 wurde er Mitglied des Herrenhauses des Österreichischen Reichsrates.
Die letzten Jahre waren durch Krankheit und vor allem schwere Depressionen gekennzeichnet. Nachdem schon seine Ehe 1884 mit dem Suizid seiner Frau tragisch gescheitert war, beendete auch er 1906 sein Leben durch eigene Hand (Sterbehaus: Rudolfinergasse 6, Unterdöbling). Ein Denkmal von ihm steht im Wertheimsteinpark!
Saar gehört neben Marie von Ebner-Eschenbach zu den bedeutendsten realistischen Erzählern der österreichischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Werke zeichnen sich durch humanistisches Ethos und Sozialkritik aus.
(Eine wahrhaft nachdenklich machende Biografie! Die „Geschichte eines Wienerkindes “ endet ebenso tragisch, nach den vielen Wirrungen (sie wurde auch Schriftstellerin!) ihres Lebens begeht sie Selbstmord. MB)
Frau von Ramberg, eine Freundin von Elsa: „Das ist die Folge, wenn man einem Manne alles opfert. Offen gestanden, habe ich Elsa, nachdem ich ihren Roman gelesen, für eine weitaus bedeutendere Frau gehalten. Sie ist doch nur eine beschränkte, weichmütige Wienernatur und brachte es nicht einmal dahin, dass Röber sie geheiratet hat. – Ich glaube, sie wollte Ihnen Eröffnungen machen und Ihren Rat erbitten, „ setzte sie nach einer Pause hinzu, offenbar ärgerlich über mein andauerndes Schweigen, das ihr gewiß sehr einfältig erschien. „Aber da ist nicht zu raten und nicht zu helfen. Er liebt sie eben nicht mehr. Auch sonst ist die Arme sehr über dran. Sie hat nämlich in letzter Zeit öfter derlei Anfälle, und die Ärzte verstehen ihren Zustand gar nicht, wenn sie ihr Bewegung verordnen. Ich halte das Ganze für den Beginn einer höchst traurigen Frauenkrankheit.“
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