Grauzonen II

„…seit Jahrtausenden faszinieren Märchen Jung und Alt. Sie können romantisch verzaubernd, lustig, aber auch schaurig, blutig, ja bitterböse sein. In diesem Buch wurden dreizehn deutsche Märchen der letzteren Art erstmalig aufgeschrieben.“ Damit ist die Grauzone bzw. das Dilemma auf den Punkt gebracht: sind die Märchen für Kinder oder für Erwachsene, oder anders gesprochen: Wer ist die Zielgruppe? Nicht umsonst sind im deutschsprachigen Bereich die Märchen der Gebrüder Grimm Gegenstand alle möglichen wissenschaftlichen Untersuchungen. Davon später mehr. Nun aber das erste Märchen aus dem genannten Buch: Die Schwarze Königin (a.a.O. Seite 19, Seiten 21 –22) „Der Prinz findet im Verlies das Skelett seines Vaters. Obwohl es ihn große Überwindung kostete, brach er die Enden zweier Rippen aus dem Skelett des Königs. Dann steckte er die beiden spitzen Knochen in seine Hosentasche und erwartete den Morgen. … Triumphierend stand ihm die schwarze Königin von Angesicht zu Angesicht gegenüber. … und bald werde ich auch die Nachbarreiche unterwerfen. … zog er die spitzen Rippen seines Vaters aus der Tasche und stieß sie der Hexe gleichzeitig in beide Augen. …Und der Prinz sprach: Du bist keiner Untaten mehr fähig. Ich kenne dein Geheimnis. Deine Hexenkunst gibt dir nur Macht über das, was du siehst. Und sehen wirst du nichts und niemanden mehr. … Dann wurde die blinde Hexe auf den Scheiterhaufen gebracht und das Feuer entzündet. Entsetzlich und unmenschlich waren ihre Schreie, als die Flammen nach ihr griffen. Doch unter dem Jubel des Volkes waren sie kaum zu hören.“ Dem muss man wohl nichts hinzufügen außer dem Satz: Grausamkeit und Strafe waren wohl nichts Besonderes! „Ein Wort Serien. „Sie brauchen Serien in ihrer Bücherapotheke, so spannend und fantastisch oder blutrünstig wie möglich. Das hilft bei Liebeskummer. Keine romantischen, keine humorvollen Geschichten: Das Blut darf gern spritzen, das ist das fiktionale Ventil für all das Blut, die Kränkung, die Demütigung und die Wut. Aber vor allem Serien. Universums Romane wir von Terra Pratchett. Damit die Wochenenden gerettet sind, die lang und trostlos sind. Damit die Abende, an denen man niemanden sehen will, der einem mit albernem Zeug wie „Kopf hoch, andere Mütter haben auch schöne Söhne“ (mag ja sein, aber nicht IHN!) belästigt, gefüllt sind. Mir Reisen, mit Flucht, mit der absoluten Entführung aus der Gegenwart und Realität. Und zwar, ohne die lieb gewonnen Figuren loslassen zu müssen.“ (Kommentar: Das alles sind Zeichen für einen allgemeinen Umbruch von (Erziehungs-) Werten und dem Aufdämmern von veränderten Lebensumständen in Elternhaus und Kindheit! Der Rezepte für so eine Zeit sind viele!!!) Da gewinnen alte „Erzählungen“ wiederum erneut Aktualität. Das Riesenspielzeug Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt, die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer, du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr. Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor, erging sich ohne Wartung und spielend vor dem Tor und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein, neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald, und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut, bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut; es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar, es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar. „Ei! artig Spielding!" ruft sie, „das nehm' ich mit nach Haus!" Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus und feget mit den Händen, was sich da alles regt, zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt, und eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind, zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind: „Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön! So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n." Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein, er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein: „Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei? Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei." Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an, den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann; wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut, so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut. Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht: „Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht! Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin, der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn? Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot; denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot; es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor, der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor" Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt, die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand; sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer, und fragst Du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr. (Adelbert von Chamisso's Sämtliche Werke, Bd. 1) +++++++ Und dann finden sich noch andere „Geschichten“: Facebook, 18.04.2023, kein namentlicher genannter Autor Ein reicher Vater wollte, dass sein Sohn weiß, was es bedeutet, arm zu sein und brachte ihn für ein paar Tage zu einer Bauernfamilie. Das Kind verbrachte dort 3 Tage und 3 Nächte. Wieder mit dem Auto zurück in der Stadt, fragte ihn der Vater: "Und deine Erfahrung?" "Gut", antwortete der Junge. "Hast du etwas gelernt? " Der Junge erklärte daraufhin: "Wir haben einen Hund und sie haben einen Hund, 20 Hühner, Katzen, Enten und im Stall eine Kuh. Somit haben sie Milch und Eier. Wir haben einen Pool mit behandeltem Wasser wo kein Blatt und kein Gras drin schwimmen darf. Sie haben im Wald ein kleines Bächlein mit kristallklarem Wasser, Fischen und perfekt um mit Gummistiefeln rein zu springen. Wir haben elektrisches Licht in unserem Garten, aber sie haben die Sterne und den Mond und ein Lagerfeuer. Darauf kann man Würstchen grillen. Unser Garten reicht bis zum Zaun. Ihre bis zum Horizont. Wir gehen ins Gasthaus essen sie bestellen ihre Felder, ernten und kochen es. Wir hören Musik über das Handy sie singen und musizieren gemeinsam. Wir kommen von der Schule und der Arbeit. Das Essen steht in der Mikrowelle. Jeder sitzt alleine am Tisch und isst. Bei ihnen kocht die Mama oder die Oma auf einem Tischherd. Sie essen gemeinsam. Wir sind, um uns zu schützen, von Alarmzäune umgeben ... Sie leben mit offenen Türen, geschützt durch die Freundschaft ihrer Nachbarn. Wir sind mit Telefon, Computer, Fernsehen verbunden. Sie sind mit Leben, Himmel, Sonne, Wasser, Feldern, Tieren, Schatten und Familien in Gemeinschaft." Der Vater war beeindruckt von den Gefühlen seines Sohnes. Der Sohn kommt zum Schluss: "Danke, dass du mir gezeigt hast, wie arm wir sind... Jeden Tag werden wir immer ärmer, weil wir nicht mehr auf die Natur schauen.... Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! In einer agrarisch orientierten Gesellschaft, wo man mit den Bauern und den von ihnen erwirtschafteten Feldfrüchten sowie dem Fleisch ihrer Tiere lebt ist natürlich eine gewisse Härte in den Lebensregeln angesagt: Schlachten zum Beispiel ist keine Grausamkeit, sondern notwendig für die Fleischversorgung auch in den Städten. Kinder lernen das schnell vom Zuschauen, wobei der Schulunterricht in den Wintermonaten daran kaum etwas verändert hat. Es war eine Gesellschaft des Tauschhandels und nur die Adligen und die Reichen, die über viel Land verfügten, konnten sich zur Jagd einen Wohlstand erwirtschaften – es ging immer um das Essen! Daneben gibt es aber auch andere Erzählungen, die von Humor getragen sind und auch mit diesem genommen werden müssen. „Die List der tapferen Weiber von Weinsberg “ Die Burg von Weinsberg wurde belagert und drei Frauen verhandelten mit dem König. „Ihr dürft mit euren Kindern frei abziehen, und könnt mitnehmen, so viel ihr auf dem Rücken tragen könnt!“ „… als sich am Tag darauf die Burg öffnete und die Weiber von Weinsberg heraustraten. An der Hand hielten sie ihre Kinder, auf dem Rücken jedoch trugen sie das, was ihnen am wichtigsten war … und das waren ihre eigenen Männer! Doch der König begann zu lachen. … Die Tränen liefen dem König die Wangen herab, als er sagte: „Lass sie gehen! Ich habe den Weibern von Weinsberg mein Wort gegeben, dass sie freien Abzug mit ihren Kindern und dem, was sie auf dem Rücken tragen können, erhalten. Genau das haben sie getan. Ich bewundere diese Frauen! Sie haben den Mut von Männern und listig sind sie obendrein!“ Märchen haben immer ein „Vorher“ und ein „Nachher“, wenn man Glück hat, erfährt man darüber etwas; in der Regel finden nur Andeutungen statt! Die Abenteuer des Baron Münchhausen (a.a.O. Seite 182) „Lieber Herr Baron, das sind schon ungewöhnliche Geschichten. Aber sind sie auch wahr?“ „Da zwinkerte der Baron und sagte: „Meine liebe Dame, diese Geschichten sind so wahr, wie jene Geschichte, als mein Überrock während meiner Reise nach Spanien von einem tollwütigen Fuchs gebissen wurde und selbst tollwütig und rasend wurde. Zu dritt mussten wir den Rock bändigen, sonst hätte er uns alle umgebracht. Ich habe ihn als Reiseandenken nach Hause gebracht und nun hängt er gefesselt in meinem Schrank. Wollen Sie ihn sehen, liebe Dame?“ „Die schüttelte lachend den Kopf. „Lieber Herr Baron, da glaube ich Ihnen lieber ihre tollkühnen Geschichten!“ „Baron von Münchhausen lächelte fein und schwieg.“ (Der Lügenbaron zieht sich aus der Klemme. Ich habe bisher in diesem Blog viele, fast unlösbare Fragen gestellt, aber doch wieder auch Ausblicke auf andere Geschichten gegeben. Es wird die Zeit zeigen, für wen die Märchen erzählt und warum sie aufbewahrt worden sind. Da muss man aufmerksam in der Märchenwelt stöbern! Wenn nichts anderes bleibt als Unbehagen oder „Moral“, dann wird es doppelt spannend. So bleibt nichts anderes als auf die „alten“ weisen Männer zu hören und vielleicht den wissenschaftlichen Untersuchungen zu glauben!)

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