Helmut Kretschmer: Tod in Wien
Tod in Wien - Das Bestattungswesen Wiens vom 18. Jahrhundert bis in unsere Tage
Das Bestatten der Toten, entweder durch Beisetzung der Leichname in Särgen (Körperbestattung) oder durch Beisetzung der Asche von verbrannten Leichnamen in Urnen (Feuerbestattung), reicht in die ältesten Perioden der Kulturgeschichte zurück und war ursprünglich Angelegenheit von Personenverbänden, wie der Familie oder des Stammes. Später übernahmen diese Aufgabe religiöse oder karitative Gemeinschaften oder besondere Unternehmen. Der Tod in Wien ist von besonderer Art. Er hat sich Tradition, Kultur und Geistesleben dieser Stadt zu Eigen gemacht und spiegelt sie in tausend Schattierungen wider. Der Wiener hat seinem Tod ein Denkmal gesetzt auf die verschiedenste Art und Weise, in seinen Liedern, seinen Gedichten, seinen Komödien und Tragödien und nicht zuletzt mit seinem Leben, in dem Todessehnsucht und Todesangst, Todesbewältigung und Todesverdrängung eine schier unlösbare Verbindung eigegangen sind. Wien, die Stadt Siegmund Freuds, ist einerseits die Stadt der Überalterung, der Selbstmorde, gleichzeitig jedoch auch die Stadt der Gemütlichkeit und des Charmes. Wahrscheinlich aber ist Wien DIE Stadt der Melancholie, dem Weinen ebenso verwandt wie dem Jauchzen, jener Melancholie, die im monotonen Walzerrhythmus genauso ihren Ausdruck findet wie in der Unentschlossenheit und Lethargie, die zu Handlungsunfähigkeit führt und damit dem Tode benachbart ist. Wie sich dieses Nahverhältnis auswirkt zeigt u.a. auch wie der Wiener seinem Tod begegnet, wie er mit ihm in all seinen Erscheinungsformen umgeht.
Über Jahrhunderte hinweg wurden die Menschen zu Hause geboren und starben meist auch in ihrem Heim, im Kreise ihrer Verwandten und Freunde, wurden aufgebahrt, wo sie gelebt hatten, und von hier hinausgetragen, zum Kirchhof. Dort wurden sie der Kirche übereignet und durften solange in der geweihten Erde ruhen, bis der Einzug neuer Toter ihre Umbettung erforderlich machte, und ihre Gebeine im Beinhaus landeten. Dem modernen Menschen, der fast ausnahmslos im Spital geboren wird und sein Leben in der Mehrzahl auch dort beendet, ist der Tod fremd und unbegreiflich geworden. Wir haben den Tod aus unserem Gesichtskreis verdrängt, nicht nur aus dem Bewusstsein, auch geographisch, an den Rand unserer Städte. Mit dem Tod wurden auch die Friedhöfe immer mehr an den Rand der Siedlungen abgedrängt. Diese Verbannung der Toten aus den Städten der Lebenden steht am Ende einer langen Entwicklung, der Entwicklung vom Kirchhof zur
kommunalen Leichenentsorgung mit Allerheiligen-Wallfahrts-Charakter, vom planlosen Durcheinander der alten Kirchhöfe hin zu den gartenarchitektonisch gestalteten Zentralfriedhöfen, welche parallel zur Stadtentwicklung und zur Entfremdung des modernen Menschen zu sehen ist.
Der im Mittelpunkt dieses Artikels stehende Zeitraum (18. Jh. bis zum beginnenden 21. Jahrhundert) lässt klar erkennen, welchen gewaltigen Wandel das Bestattungswesen gerade innerhalb dieser Zeitspanne erfahren hat. Mit dem Triumph des Christentums avancierten die Kirchen zum bevorzugten Bestattungsplatz der Gemeinde. Dieses Drängen der Toten zur Kirche, wenn nicht sogar in die Kirche, entsprach dem allgemeinen Wunsch nach größtmöglicher räumlicher Nähe zu den Heiligen- und Märtyrergräbern. Während die Bestattung im Kirchenraum selbst bald zum Privileg einiger weniger wurde, musste das Volk mit einem Platz im Vorhof der Kirche vorliebnehmen. Daraus entwickelte sich der mittelalterliche Kirchhof, der über viele Jahrhunderte hinweg allgemeine Begräbnisstätte inmitten der Siedlungsgemeinschaft blieb. Dazu kommt auch, dass das Christentum bis in die jüngere Vergangenheit nur die Körperbestattung auf Friedhöfen oder in Kirchen bzw. Kirchengrüften billigte. Angehörigen der katholischen Kirche war - nicht nur in Wien - bis ins spätere 20. Jahrhundert die Einäscherung verboten. Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) änderte die diesbezügliche Haltung der Kirche. Da das christliche Abendland schon zu Beginn des Mittelalters das Bestatten der Toten weitestgehend der Kirche übertragen hatte und sich die Begräbnisstätten (Kirchhöfe) in ihrem Eigentum befanden, hatte die Kirche auch ein Anrecht auf die Begräbnis- und Einsegnungsgebühren, die einen nicht unwesentlichen wirtschaftlichen Faktor darstellten und neben den Begräbnisspesen auch einen Teil des Lebensunterhaltes der Geistlichkeit abdeckten. Ähnlich wie in anderen europäischen Städten wurden auch in Wien die christlichen Friedhöfe anfangs rund um Kirchen und Klöster in der ummauerten Stadt angelegt. Seit der späteren Babenbergerzeit, etwa ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, war Wien von einer ringartigen Befestigungsmauer umgeben, die dann in späterer Zeit durch eine massive Mauer und entsprechende Befestigungsanlagen ersetzt wurde. Jedoch entstanden auch schon in der Frühzeit außerhalb der Mauer vereinzelt Friedhöfe bei Vorstadtkirchen und Spitälern. Beispiele hierfür seien etwa der Nikolaifriedhof (Bereich 3, Landstraßer Hauptstraße vor der Rochuskirche, 1563-1784), der Bürgerspital-Gottesacker (ab 1638 Armensünder- Gottesacker im Bereich 4, Karlsgasse-Paniglgasse, neben der Karlskirche), oder der Friedhof von Mariahilf (6, um die Mariahilfer Kirche, 1660-1784)
Etwa ab dem 16. Jahrhundert wurde es allmählich üblich, die Toten in einem Sarg zu bestatten. Zuvor hatte man sie in Tücher gewickelt oder in Leinensäcke eingenäht. Praktiken des 18 und 19. Jahrhunderts, wie beispielsweise das Aufbahren der Toten für einige Tage, machten einen Sarg fast unerlässlich und führte dazu, dass es kaum mehr Bestattungen ohne Sarg gab (ausgenommen die kurze Episode mit Kaiser Josephs
„Sparsarg“, dessen Boden aufklappbar war, wodurch der Leichnam wie ein Kartoffelsack ins Grab plumpste. Heftige Reklamationen der Bevölkerung „ob dieses gottlosen Vorgehens“ ließen den Herrscher rasch seine diesbezügliche Weisung wieder zurücknehmen).
Vor allem in Zeiten überdurchschnittlicher Sterblichkeit, etwa bei Pestepidemien, reichten die Kirchhöfe für Tausende von Toten nicht aus. Dieser Platzmangel und die Angst vor Ansteckungen führten zur Beerdigung der Pesttoten in besonderen, außerhalb der Stadt gelegenen Gruben. Diese Pestfriedhöfe waren so gesehen auch die ersten
„Feldbegräbnisse“ und der moderne Hauptzweck des Friedhofs, nämlich eine sanitäre Anlage zu sein, wurde erstmals maßgebend für die Schaffung eines Begräbnisplatzes. Das ausgehende 18. Jahrhundert, die Aufklärung und Vernunftanbetung, die Fortschritte in Wissenschaft und Technik, der Fortschritt an sich, trugen maßgeblich zur Verdrängung des Todes bei. Der Friedhof ist damit endgültig zum urbanen Problem geworden. Auch für Wien können wir ab dem 16.Jahrhundert die Bemühungen erkennen, die Friedhöfe innerhalb der Stadt aufzulassen, ein Bemühen, das letztlich erst zu Ende des 18. Jahrhunderts den gewünschten Erfolg brachte. Gegen die Auflassung der Stadt- und Vorstadtfriedhöfe regte sich erbitterter Widerstand, man befürchtete u.a. im Kriegsfall die Verwüstung von Grabstätten vor den Mauern. In dieser Zeit entstanden auch unter einigen Wiener Kirchen geräumige Grüfte, markante Beispiele wären die Katakomben bei St.Stephan und die Kapuzinergruft.
Bis zum 18. Jh. waren Begräbniszeremonien in der Regel schlicht gehalten. Die Aufbahrung des Verstorbenen fand gewöhnlich zu Hause statt, am Tag der Beerdigung wurde der Sarg zur Einsegnung in die Kirche gebracht und von dort zum Friedhof. Als Sargträger fungierten befreundete Personen oder Angehörige des gleichen Standes. Vorherrschende Grabform war bis ins 19. Jh. das Schachtgrab, also das Mehrfachgrab, das nach einigen Jahren umgegraben und neu belegt wurde. Gewerbliche Bestattungsunternehmer waren bis ins 19. Jahrhundert unbekannt, das Begräbnis wurde in der Regel vom Mesner der jeweiligen Pfarre, der sich damit ein Zubrot verdiente, oder von sogenannten „Konduktansagern“, Vorläufern der Bestattungsunternehmer, organisiert.
Lediglich das Geschäft des Totengräbers wurde, vor allem in größeren Städten, schon sehr früh hauptberuflich ausgeübt.
Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts blieb das Begräbnis (sieht man von der seit Mitte des 17. Jahrhunderts üblichen Totenbeschau ab) von allen staatlichen Eingriffen verschont. Erst allmählich begann der Staat dem Bestattungswesen Aufmerksamkeiten zu schenken, was sich in zahllosen Hofdekreten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert niederschlug.
Es war die Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia, in der die Obrigkeit immer mehr mit der Bestattung zusammenhängende Fragen regelte. Vor allem aber der auf seine Mutter als Landesherr folgende Kaiser Joseph II. trat durch eine Unzahl von Reformen, u.a. auch das Friedhofs- und Bestattungswesen betreffend, hervor. Maria Theresia hatte schon in ihrer Regierungszeit Stol- und Konduktordnungen, die den Pfarren die Taxen für die einzelnen Bestattungsleistungen vorschrieben und eine Einteilung nach Klassen vornahmen, erlassen (als Stolgebühren bezeichnete man Gebühren bzw. Vergütungen für kirchliche Amtshandlungen aus besonderem Anlass wie etwa die Taufe, kirchliche Trauung und die kirchliche Begräbnisfeier). Auch wurde die Errichtung von Leichenhallen vorgeschrieben (1756) beziehungsweise Vorschriften zur Erkennung von Scheintoten erlassen. Im Jahr 1771 wurde etwa die amtliche Wartefrist zwischen Eintritt des Todes und dem Begräbnis auf 48 Stunden verlängert, sicherlich auch als Reaktion auf die fast hysterische Angst der Aufklärungszeit vor dem Scheintod. Das Bestatten in Kirchen wurde nur mehr unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen gestattet, 1783 aber in den Hauptstädten, somit auch in Wien, verboten.
Da in der Barockzeit die Bestattungen immer prunkvoller wurden, verfügte Joseph II. deren Vereinfachung. Dies äußerte sich auch bei Hof. Deutlich sichtbar wird die völlig andere Einstellung Joseph II. hinsichtlich Tod und Bestattungsformen etwa in der Wiener Kapuzinergruft. Zu Füßen des prunkvoll gestalteten Doppelsarkophags für Maria Theresia und Franz Stephan von Lothringen, Josephs Eltern, steht der äußerst schlichte Sarg ihres Sohnes, des großen Reformkaisers Joseph II. Seine Vorstellungen, die Leichen in Mehrfachgräbern zu bestatten - das Schachtgrab sollte einheitliche Bestattungsform werden, ohne Ansehen von Person oder Rang - wurde zwar seitens der Stadt Wien kritisiert, aber dennoch geduldet und praktiziert. Für einige Jahrzehnte wurden im Wiener Bereich kaum mehr Privatgräber vergeben. Auch das Anbringen von Grabsteinen, Kruzifixen oder ähnlichen Symbolen war nicht erwünscht. Nur wer diese Tatsachen außer Acht lässt, kann etwa im Falle von Mozarts Begräbnis von einem „Armenbegräbnis“ oder
„Massengrab“ sprechen. Tatsächlich vollzog sich Mozarts Begräbnis am St. Marxer Friedhof vollkommen den josephinischen Begräbnisformen entsprechend, die diese für ein Begräbnis dritter Klasse vorsahen. Als Joseph II. allerdings 1784 verfügte, dass Särge nicht mehr mit der Leiche beerdigt werden sollten (die „Josephinischen Särge“ hatten unten angebrachte Klappen, damit die Leichen herausfallen konnten), musste er diese Anordnung wegen des massiven Widerstandes der Bevölkerung schon ein Jahr später wieder zurücknehmen. Von größter Bedeutung für Wien war Josephs Anordnung von 1783/84, alle Friedhöfe innerhalb der Stadt, aber auch innerhalb des Linienwalles (Vorstadtzone), aufzulassen und vor der Linie neue Friedhöfe anzulegen. Es entstanden nun die fünf großen Kommunalfriedhöfe Wiens (Hundsturmer-, Matzleinsdorfer-, Schmelzer-,St.Marxer- und Währinger Allgemeiner Friedhof ), die erst nach der Eröffnung des noch heute bestehenden großen Zentralfriedhofes (1874) geschlossen wurden.
Schon zu Beginn des 19. Jhs. wurden die strengen josephinischen Begräbnisvorschriften teils sehr gelockert oder völlig zurückgenommen. Ab 1830 setzte sich das allgemeine Recht auf ein eigenes Grab durch, wiewohl de facto Schachtgräber noch bis ins 20. Jh. bestanden, in späterer Zeit aber schon als „sozialer Makel“ angesehen wurden. Durch das Reichssanitätsgesetz von 1870 übernahm der Staat die sanitätspolizeiliche Aufsicht über alle Friedhöfe, auch über die konfessionellen. Im Jahr 1867 wurde in Wien durch Franz Josef Grüll das erste Leichenbestattungsunternehmen gegründet, ein Jahr später ein weiteres und da der Zustrom unvermindert anhielt, entschloss man sich 1885, das bis dahin freie Leichenbestattungsgewerbe zum konzessionierten Gewerbe zu erklären.
Im Laufe des 19. Jhs. begann das aufstrebende Bürgertum sich immer mehr an den meist prunkvollen Begräbnissen des Adels zu orientieren. Die „schöne Leich“ - das prunkvoll inszenierte Begräbnis mit großem Kondukt und mit allem Pomp (von Pferden gezogene Leichenwagen, Trauerchor, Musikbegleitung usw.) - wurde in Wien geradezu ein Statussymbol für eine spezielle Schicht der Bevölkerung. Im krassen Gegensatz dazu gab es noch immer das Begräbnis der Armen, die in der Regel des Nachts wagenweise zum Friedhof gekarrt und im Morgengrauen in Schachtgräbern beerdigt wurden. Die Preisunterschiede der einzelnen Begräbnisklassen war enorm: ein Schachtgrab kostete um 1850 rund 1,5 Gulden, ein ausgemauertes Grab mit Denkmal rund 47 Gulden.
Der Weg vom Ableben bis zur ewigen Ruhe erfolgt in drei Schritten: Die Aufbahrung der Leiche, der Weg zur Grabstätte und die Art der Beisetzung. Auch in Wien ist jede dieser Stationen von einer eigenen, besonderen Geschichte und Entwicklung geprägt. Die großen Reformen des Bestattungs- und Friedhofswesen in der josephinischen Zeit wirken – trotz
aller Änderungen, aller Weiterentwicklungen, die auch dieser Bereich in der seit damals vergangenen Zeitspanne von mehr als 200 Jahren erfuhr – bis in unsere Tage nach. Ein Bestattungszeremoniell mit einer reichen Begräbnistradition ist vielfach noch heute zu beobachten und wird gerade in Wien intensiver als anderorts gepflegt.
Die Aufbahrung konnte an verschiedenen Orten erfolgen, zu Hause, in einer Kirche oder in einer dafür bestimmten Totenkammer. Die Aufbahrung im Haus war in Wien noch bis ins frühe 20. Jahrhundert durchaus üblich. Durch die Art der Aufbahrung (schlicht bis prachtvoll) wurde meist auch die gesellschaftliche Stellung der Toten gezeigt. Mit der Errichtung von Leichenhallen auf den Friedhöfen im 20. Jahrhundert, nahm die Anzahl der Hausaufbahrungen rasch ab. Nach 1945 wurden Hausaufbahrungen generell verboten.
Nach der Aufbahrung erfolgte die Dislokation des Toten (also seine Überstellung) zu seiner Begräbnisstätte. Lange Zeit wurde die Leiche zu Grabe getragen, ab dem 12. Jahrhundert wurde es üblicher (zunächst in höheren gesellschaftlichen Kreisen) den Toten auf einem dafür gebauten Wagen zu transportieren. Vor allem im 18. und 19. Jh. wurde die Aufmachung des Trauerkondukts (ähnlich wie bei der Aufbahrung) eine Repräsentationsangelegenheit. Je pompöser und feierlicher der Totenzug war, desto höher war der Rang des Verstorbenen. Schon ab dem frühen 20. Jahrhundert verdrängten Automobile die bis dahin hauptsächlich für den Totentransport verwendeten Pferdefuhrwerke. Die motorisierten Leichenwägen wurden im Laufe der Zeit modernisiert und sind heute oft kaum mehr als Leichenwagen zu erkennen. Nach Aufbahrung und Transport der Toten zu ihren letzten Ruhestätten folgt das eigentliche Begräbnis, die Bestattung. Auch heute noch wird in der Regel der Sarg nach der Aufbahrung in den auf den Friedhöfen dafür vorgesehenen Aufbahrungshallen von vier Sargträgern zum Grab gebracht. Für weitere Wegstrecken steht hierfür ein elektrisch betriebenes Fahrgestell zur Verfügung. Eine der vielen Bestimmungen aus der Zeit Joseph II. – Begräbnisse durften nur bei Tag und nicht in der Nacht stattfinden - ist beispielsweise noch heute gültig. Für Nachtbegräbnisse benötigt man auch in unserer Zeit noch eine Sondererlaubnis seitens der Behörde. So etwa fand das Begräbnis des Schauspielers Curd Jürgens 1982 zu nächtlicher Stunde als filmreifes Spektakel bei Fackelbeleuchtung und Scheinwerferlicht auf dem Wiener Zentralfriedhof statt.
Friedrich Siemens stellte auf der Wiener Weltausstellung 1873 einen von ihm konstruierten Ofen zur Leichenverbrennung vor. Bald machte man sich auch in Wien konkrete Gedanken, diese Art der Bestattung einzuführen. Bereits Im Jahr 1885 wurde der erste bekannte „Verein der Freunde der Feuerbestattung“ gegründet, in späterer Zeit hatten
Feuerbestattungsvereine wie „Die Flamme“ oder der „Wiener Verein“ eine große Zahl an Mitgliedern. Bis 1921 musste die Kremation der sterblichen Überreste von Einäscherungswilligen im Ausland erfolgen, erst 1922 erhielt Wien ein eigenes Krematorium.
Es sollte jedoch noch bis zum Jänner 1923 dauern, ehe in dem von Clemens Holzmeister geplanten und errichteten Krematorium (auf dem Gelände zwischen dem Zentralfriedhof und Schloss Neugebäude) die ersten Leichenverbrennungen durchgeführt werden konnten. Zunächst stieß diese Bestattungsart - die Feuerbestattung anstelle der Erdbestattung - noch auf wenig Verständnis. Der damals zuständige christlichsoziale Minister für soziale Verwaltung verbot den Betrieb des Krematoriums, in der Folge wurde der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann bei Verfassungsgerichtshof geklagt, das Gericht entschied jedoch für die Stadt Wien. Nicht zuletzt hat wohl auch die geänderte Haltung der katholischen Kirche in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts dazu beigetragen, dass die Kremation heute als eine der Erdbestattung gleichgestellte Beisetzungsart anerkannt wird. 1966 wurde ein zweites Krematorium eröffnet.
Dass Musik bei Begräbnissen ein fixer Bestandteil der Trauerfeier war - und auch bis heute noch ist - verwundert in der viel zitierten „Musikstadt Wien“ kaum. War es im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Regel klassische Musik, welche bei Begräbnissen erklang, so änderte sich diese Tradition im späteren 20. und beginnenden 21. Jahrhundert sehr. Zwar gehören auch in der Gegenwart Musikstücke aus dem klassischen Bereich wie etwa das Ave Maria von Franz Schubert, der Canon in D-Dur von Johann Pachelbel oder das Lacrimosa aus Mozarts Requiem zu äußerst beliebten Kompositionen, die im Rahmen einer Trauerfeier erklingen. Aber schon seit etlichen Jahrzehnten werden Kompositionen aus dem Bereich Unterhaltungs-und Populärmusik oder aus dem Jazz immer öfter als Trauerfeiermusik herangezogen. So etwa „Time to say Goodbye“ (Sara Brightman u. Andrea Bocelli), „Imagine“ von John Lennon oder „My Way“ (Frank Sinatra). Selbstverständlich stellen Begräbnisse von Künstlerpersönlichkeiten aus dem Bereich Musik insofern Ausnahmen dar, da wohl dabei oftmals Werke des verstorbenen Künstlers erklingen. So etwa musizierten Mitglieder des „Zawinul Syndicates“ gemeinsam mit Toni Stricker und Hans Salomon bei der Verabschiedung des 2007 verstorbenen Jazzmusikers Joe Zawinul auf dem Wiener Zentralfriedhof Werke des bedeutenden Musikers.
Eine, zumindest für den Wiener Raum, neue Bestattungsart ist in den letzten Jahrzehnten bei der Bevölkerung immer beliebter geworden: die Baumbestattung – die naturnahe Bestattung auf einem Waldfriedhof. Bei dieser alternativen Bestattungsart wird die Asche
der oder des Verstorbenen nach der Kremierung im Wurzelwerk eines Baumes beigesetzt. Damit die Asche eine Symbiose mit der Natur eingehen kann, wird für die Beisetzung eine biologisch abbaubare Urne verwendet, die sich im Laufe der Zeit auflöst. Genau wie bei anderen Bestattungsarten, ist es auch bei der Baumbestattung möglich, eine Trauerfeier abzuhalten. Die Zeremonie findet dabei üblicherweise direkt am Beisetzungsort im Wald statt. Verstorbene, die große Naturfreunde waren, finden den Gedanken schön, nach dem Tod eins mit der Natur zu werden. Als Vorteile für diese Bestattungsart werden meist genannt, dass die Kosten in der Regel geringer als die eines Erdgrabes sind sowie das Wegfallen von Grabpflegekosten. In der Zwischenzeit gibt es bereits, nicht nur in Wien sondern auch außerhalb Wiens bereits mehrere Örtlichkeiten, wo derartige Baumbestattungen möglich sind (als Beispiele seien genannt die Baumbestattung Klosterwald Heiligenkreuz oder die Baumbestattung Klosterwald Rohrwald bei Oberrohrbach/NÖ). Auch auf dem Areal des Wiener Zentralfriedhofs gibt es bereits zwei Örtlichkeiten (als „Waldfriedhof“ gekennzeichnet), wo naturnahe Bestattungen ermöglicht werden.
Der erste Waldfriedhof auf dem Zentralfriedhof wurde 2009 eröffnet, der zweite im Jahr 2016. Auf diesen Arealen werden um ausgewählte Bäume kreisförmig Urnengräber angelegt. 100 sogenannte “Bestattungsbäume” sollen nach Planung Platz für insgesamt
1.400 Urnen bieten. Um jeden Baum werden zwölf Urnengräber, in denen jeweils zwei Urnen beerdigt werden können, kreisförmig angeordnet. Grabsteine oder Kreuze direkt bei den Urnengräbern gibt es am Waldfriedhof nicht. Stattdessen wurden für den Eingang zum Waldfriedhof hohe, historische Grabsteine ausgewählt, auf deren Rückseite individuell gestaltete Gedenktafeln angebracht werden können. Zusätzlich kann der Name des Verstorbenen mit Geburts- und Sterbejahr auf einen Stein graviert werden. Aus den einzelnen Steinziegeln soll nach und nach eine Gedenkwand entstehen, die zum Tor in den Friedhofswald führt.
Nicht nur das Bestattungswesen an sich hatte sich im Laufe der Zeit geändert, auch der Friedhof und sein Äußeres waren einem Wandel unterzogen. Das Grabmal hatte sich aus der Grabplatte, mit der das im Kirchenboden gelegene Grab verschlossen wurde, entwickelt. Zunächst fand man auf ihm meist Skelettdarstellungen, das Porträt trat erst später an dessen Stelle. Der Grabstein als Denkmal auf dem individuell sichtbar gemachten Grab wurde erst im 19. Jh. zum Allgemeingut. Mit den individuell gekennzeichneten Einzelgräbern kam seit dem frühen 19.Jh. der Grabbesuch auf, wurde zum Ritual, und das Grab immer mehr zum Ziel der Familienwallfahrt. Erst Mitte des 19. Jhs. traten christliche
Symbole mehr in den Vordergrund und verdrängten die frühere Grabsymbolik, etwa die in der Biedermeierzeit vorherrschenden Tränentücher über Urnen, Schlange und Pfeile als Symbole der Vergänglichkeit. Ab 1870 bis zum beginnenden 20. Jahrhundert kam es zu einer immer größer werdenden Prunkentfaltung, der Historismus mit seinen pompösen Grabdenkmälern prägte auch den Friedhof, ab 1900 brachte schließlich der Jugendstil eine letzte bedeutende Epoche in der Grabsteingestaltung.
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1907) wurde in Wien damit begonnen, die Leichenbestattung zu kommunalisieren, die Firma „Gemeinde Wien - Städtische Leichenbestattung“ nahm ihren Betrieb auf. Mit den zahlreichen privaten Bestattungsunternehmen wurden Verträge, die die Zusammenarbeit regelten, geschlossen. 1945 waren noch 24 Privatbestatter tätig, die jedoch in den folgenden Jahren ihre Konzessionen gegen Leibrenten zugunsten der Städtischen Bestattung zurücklegten. Mit der Übernahme der letzten privaten Leichenbestatter konnte 1951 die Kommunalisierung des Bestattungswesens in Wien abgeschlossen werden. Als in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Aufbahrungsräume der Friedhöfe mit „permanenten Aufbahrungseinrichtungen“ ausgestattet wurden, ging die Zahl der Wohnungsaufbahrungen immer mehr zurück (1930 wurden nur mehr bei 1,6% der Sterbefälle eine Aufbahrung im Heim vorgenommen), seit 1945 werden Verstorbene im allgemeinen (Ausnahmen bilden offizielle Aufbahrungen, etwa im Parlament oder in einem Theater) nur mehr in den Zeremonienräumen der Friedhöfe aufgebahrt. 1953 wurde die Städtische Bestattung als Teilunternehmen in die „Wiener Stadtwerke“ eingegliedert. Auch heute noch ist die Wiener Städtische Bestattung (heute: Bestattung Wien) mit hunderten Angestellten eines der größten einschlägigen Unternehmen der Welt. Die Eingemeindungen der Vororte (1890/92) brachte es mit sich, dass Wien um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert zur Millionenmetropole mutierte. Eine große Zahl an heute meist noch bestehenden Friedhöfen liegt seit damals auf Wiener Stadtgebiet. Heute findet man 55 Friedhöfe in Wien, 46 davon werden von der Stadt Wien verwaltet, die weiteren sind konfessionelle Begräbnisstätte, um die sich Religionsgemeinschaften (Katholische/Evangelische Kirche, Israelitische Kultusgemeinde, Islamische Glaubensgemeinschaft) kümmern.
Eine Änderung im Bereich des Bestattungswesens bewirkte indirekt der EU-Beitritt Österreichs. Zu Beginn unseres Jahrhunderts fiel nämlich das Bestattungsmonopol der Stadt Wien. Bis ins 21. Jahrhundert hinein war es den Gemeinden vorbehalten, anhand eines Bedarfsnachweises die Zahl der erlaubten Bestatter festzulegen. In Wien, der größten Gemeinde Österreichs, bedeutete dies, dass man seitens der Gemeinde meinte, für die
statistisch zu erwartenden Todesfälle pro Jahr mit nur einem Anbieter auszukommen.. Somit wurde jedes Begräbnis und die begleitenden Dienstleistungen in Wien vom gemeindeeigenen Unternehmen, der Bestattung Wien, organisiert. Diese staatlich festgelegte Bedarfsprüfung widersprach jedoch den Wettbewerbsregeln der EU und wurde auf Druck von Privatanbietern im Jahr 2002 schließlich aufgegeben. Heute operiert eine Vielzahl an privaten Bestattungsunternehmen in Wien, wie wohl laut Branchenkennern die Bestattung Wien noch immer rund 80 Prozent des Marktes kontrolliert.
Selbstverständlich ist für die Betrachtung der Begräbnisabläufe in Wien, die lediglich einen Teilbereich der gesamten Kulturökologie darstellen, auch die kontinuierlichen Änderungen in der Struktur der Gesellschaft seit den letzten ein bis zwei Jahrhunderten von Bedeutung. Der ursprüngliche Träger der Stadtkultur, ein selbst-und standesbewusstes Bürgertum ist fast gänzlich verschwunden, ebenso eine standesbewusste Arbeiterschaft im Sinne vergangener Jahrzehnte kaum mehr vorhanden. Somit sind auch deren Gemeinschaften als Träger und Vermittler der aus dem Standesbewusstsein und aus dem täglichen Leben der Angehörigen erwachsenden traditionellen Kultur heute bedeutungslos. An die Stelle des Bürgertums und der Arbeiterschaft sind eine Unternehmerschicht, eine Angestellten-und Beamtenschicht und eine Arbeiterschicht getreten, die jedoch kaum mehr ein Selbst- und Standesbewusstsein vergangener Zeiten an den Tag legen. Kaum leben in der Stadt mehr zwei bis drei Generationen in einem Haushalt. Dadurch ergeben sich aber Brüche in der Weitergabe der traditionellen Kultur von einer Generation zur nächsten. Dies ist natürlich auch stark beim Bestattungs-und Friedhofswesen spürbar, da Gepflogenheiten, die vor einigen Generationen noch gang und gäbe waren (z.B. das Tragen von Trauerkleidung, das Einhalten einer Trauerzeit), jungen Erwachsenen, von Inhalt und Bedeutung aus betrachtet, fremd sind und daher auch abgelehnt werden.
Seit Jahrhunderten sind Friedhöfe zentrale Orte der Erinnerungskultur. Doch ihr Erscheinungsbild wandelt sich nicht zuletzt durch sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Stichworte wie Individualisierung, Mobilität, multikulturelle Vielfalt, fortschreitende Säkularisierung sowie der Bedeutungsverlust traditioneller Institutionen als auch familiärer Strukturen sind Entwicklungen, die sich – mit gewisser Verzögerung – auch auf das Friedhofs- und Bestattungswesen auswirken werden. Gerade auch Veränderungen in der Religionslandschaft zeigen, dass in der heutigen Trauerkultur neue Bedürfnisse und Wünsche (Stichworte Naturverbundenheit, Umweltbewußtsein) vorhanden sind, welche die gegenwärtigen Friedhöfe bzw. Bestattungsinstitutionen nicht immer abdecken. Neben diesen soziokulturellen und religiösen Aspekten stehen diesen
auch räumliche, baulich-technische und planerische gegenüber. Die Friedhöfe des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts sind längst keine „Äcker Gottes“ mehr, sie sind aber auch in der Mehrzahl noch keine Bestandteile der Landschaft, wiewohl auch bereits in Europa da und dort als Reaktionen auf die Steinwüsten der Gründerzeitfriedhöfe die ersten Parkfriedhöfe nach amerikanischem Vorbild entstanden bzw. im Entstehen sind. Die für das Friedhofswesen und die Bestattung zuständigen Institutionen werden bei ihren Überlegungen und Planungen für die Zukunft immer mehr bedenken müssen, dass Friedhöfe neben ihrer eigentlichen Bestimmung heute zusätzlich andere Funktionen wahrnehmen, z.B. als Grün – und Erholungsräume. Man wird also in naher Zukunft Konzepte zu entwickeln haben, die einerseits den neuen Lebenswirklichkeiten des 21., Jahrhunderts gerecht werden – andererseits aber auch unsere traditionelle gewachsene Friedhofs- und Bestattungskultur bewahren.
Quellen und Literatur zu diesem Thema (in Auswahl) Wiener Stadt – und Landesarchiv:
Städtische Ämter (Friedhofsbücher, Totenbeschauprotokolle) Verwaltungsberichte
Gemeinderat-Sitzungsprotokolle
WienBibliothek:
Historische Zeitungen
Bestattungsmuseum (Wiener Zentralfriedhof, Zugang von Tor 2)
Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Bd. 1, Wien 1992, 347f. Werner T. Bauer: Wiener Friedhofsführer, Wien 1988
Rudolf Karl Schipfer: Wo Zeit und Ewigkeit zusammen kommen – Eine kulturwissenschaftliche Darstellung der Bestattungsabläufe in Wien, Diplomarbeit der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Univ. Wien, Wien 1993
Franz Knispel: Zur Geschichte des Bestattungswesens in Wien, Wien 1997 Peter Pleyel: Friedhöfe in Wien, vom Mittelalter bis heute, Wien 1999
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