Die Hausaufgaben
Die Hausaufgaben
Die Hausaufgaben sind lächerlich und kindisch. Mit so was muss man sich abgeben und Zeit
vertrödeln! Schon die Fragen sind so gestellt, dass sie nur eine Antwort zulassen und diese Antwort ist wie die Frage: primitiv! Ich verstehe nicht, wie das die anderen in der Klasse nicht hinkriegen! Na ja, ich habe eh Hausarrest, da kann ich mir Zeit lassen. Und wo mache ich nur ein paar Fehler hinein, damit die Lehrerin sich nicht ganz unnütz vorkommt, weil sie mir nichts erklären kann.
Dabei habe ich gestern ja was erlebt, das muss ich mir aufschreiben, weil ich es sonst vergesse.
Der Herr Pospisil wohnte in seinem Geschäft. Es war eine ganze Geschäftezeile mit Blumengeschäft, Apotheke, einem Geschäft für nette Sachen zum Verschenken, einem Geschäft für Tee und Schokolade, einem Schuhgeschäft und daneben eben dem Geschäft von Herrn Pospisil – er verkaufte Kleider, einfache Kleider, Kittelschürzen, Hemden, die nicht mehr in Mode waren und vieles mehr davon. Das Schaufenster sah jahrein – jahraus gleich aus und irgend jemand hat einmal behauptet, er habe jemand im Geschäft etwas einkaufen gesehen. Aber die Geschäftezeile geht weiter, eine Fleischhauerei und dann ein Friseur“salon“ und schließlich ein Lebensmittel Supermarkt. Dann kam eine Querstraße und beendete die Geschäftezeile.
Herr Pospisil war ein sehr schlanker, groß gewachsener Herr mit einer hohen Stirn, einer bemerkenswert langen Nase und gefärbten Haaren. Jeden Morgen um Punkt neun Uhr öffnete er seine Ladentür und trat vor das Geschäft. Manche der Vorübergehenden grüßte er höflich, bei anderen sah er weg. Auf diese Weise unterschied er Kunden von einfachen Passanten. Und natürlich, wenn er gegrüßt wurde, dann grüßte er zurück – lautlos - man kann sich an keine Stimme erinnern, nur an sehr helle Augen. So stand er einen Viertelstunde vor dem Laden, ehe er kehrtmachte und die Tür hinter sich schloss, aber nicht mehr versperrte, denn schließlich wartete er ja auf Kunden. Man sagte auch, dass es in dem Laden vermodert riechen würde, aber so richtig ließ sich dieses Gerücht nicht bestätigen, denn diejenigen, die das erzählten, gingen bei Herrn Pospisil nicht einkaufen.
Ein bisschen zerstreut war er schon, aber das wusste nur er, weil er sehr viel Zeit zum Nachdenken hatte, die er auch brauchte. Weil er immer die gleichen Hemden trug, zumindest hatte das den Anschein, musste er doch wohl diese seine Hemden an einem besonderen Platz verwahren, denn die sahen jenen Bekleidungsstücken täuschend ähnlich, die er in seinem Schaufenster zum Verkauf anbot. Mit den Hosen musste er es ebenso halten. Dass er von Zeit zu Zeit Schuhe von unterschiedlicher Farbe trug, das nahm man zwar zur Kenntnis aber nicht weiter tragisch, hat man auf den Schuhen der Kindergartenkinder auch unterschiedliche Farbstreifen, damit die Kinder wissen, in welchen Schuh welcher Fuß hineinkommt. Dennoch: Ein Ordnungsfanatiker war er wohl nicht, denn es wussten einige zu berichten, dass er fuchsteufelswild werden konnte, wenn er seinen Rechnungsblock nicht sofort am gewohnten Ort finden konnte. Aber auch das machte nichts, den seine zum Verkauf angebotene Arbeitskleidung hielt viel aus und war zudem noch sehr preiswert.
Punkt 12 Uhr 30 verließ er seinen Laden, versperrte die Eingangstür und begab sich mit seinem leicht schlingernden Gang auf einen Spaziergang, der nur deswegen auffallen konnte, weil um diese Zeit die Kinder aus der Schule kamen und die machten sich nicht selten über ihn lustig. Da hat er dann ein ganz steinernes Gesicht bekomme, seine Augen traten aus den Höhlen und es konnte schon vorkommen, dass er mit der Faust gedroht hat – seine leise Stimme hat er hier nie gebraucht. Seine Drohungen haben natürlich die Schulkinder noch mehr erheitert, ihn noch mehr gereizt und hin und wieder ist er, aller Vernunft zum Trotz, einem Kinde hinterher gerannt. Dabei ist nur einmal etwas passiert, denn er ist hinter mir hergelaufen und ich habe nicht aufgepasst und bin hingefallen und habe mir ziemlich wehgetan. Er ist dann vor mir gestanden und muss irgendetwas gemurmelt haben, hören konnte ich das nicht, ich hörte nur die keifende Stimme einer Frau, die lauthals geschimpft und nach der Polizei gerufen hat. Er hat dann nur gesagt: „Ich kann mir doch nicht alles gefallen lassen, habe die Ehre!“ und ist weitergestakst. Die Frau hat mir aufgeholfen und ich habe natürlich übertrieben, denn so schlimm war das ja gar nicht gewesen, aber immerhin hat sie mich in ihr Auto geleitet: „Schön vorsichtig gehen und wenn es nicht besser wird, dann musst du zu einem Arzt!“ mit hineinverfrachtet und nach Hause gefahren. Das war auch nicht schlecht, besonders weil es so ein tolles Auto war, ich habe mich auch bei der Dame bedankt.
Da sitze ich also zuhause, habe etliche Pflaster an verschiedenen Stellen und starre in die Luft. Meine Mutter hat die Pflaster gesehen und sich sehr aufgeregt, aber ich habe sie beruhigt und ihr irgendwas erzählt von „auf dem Schulhof hingefallen“ und dann noch „auf der Strasse ausgerutscht“ und so weiter. Sie hat mir nicht alles geglaubt, weil sie gemeint hat, wenn das alles stimmt, was ich da erzähle, dann hätte ich von Kopf bis Fuß verbunden von der Rettung nach Hause gebracht werden müssen. Da habe ich dann geschwiegen, weil ich nicht mehr genau gewusst habe, welches Pflaster zu welchem Unfallort gehört hat. Ich sitze also da und sollt Hausaufgaben machen, aber erstens habe ich dazu keine Lust und zweitens muss ich so viele Sachen gleichzeitig denken, dass ich für die paar läppischen Aufgaben keine Zeit habe – im schlimmsten Fall kann ich sie immer noch morgen ganz schnell abschreiben, natürlich ein paar Fehler hineinschummeln, denn sonst kommt die Lehrperson drauf, dass die Aufgaben doch zu läppisch sind. Meine Zimmertür steht offen und ich höre meine Mutter telefonieren. Sie hat den Raumlautsprecher aufgedreht, denn dann kann sie überall herumgehen, braucht nicht beim Telefon zu stehen oder muss auch nicht einen Apparat in der Hand halten. Da ist wieder einmal ihre Freundin dran, die ohne Punkt und Beistrich in einem fort redet. Sie beklagt sich über ihre Tochter Jo, die kenne ich, die ist ein bisschen jünger als ich und beherrscht ihre Mutter ganz schön.
„Jo braucht für die einfachsten Aufgaben, die sie längst schon gerechnet hat, Stunden lang ...ich kann sagen, tun und machen, was ich will, sie sagt einfach sie kann es nicht ...ich kann mich auf den Kopf stellen, es hilft nichts ...ich kann ihr alles verbieten, es hilft nichts.
Die Lehrerin sagt, sie hat eine null bock Einstellung, ist faul und macht keinen Schritt zu viel. Zu Hause macht sie ihre Hausaufgaben so wie eine Schnecke: Stunden lang für 5 Aufgaben. Ich hab die Geldmethode angewendet, sie kriegt so und so viel, wenn sie in der und der Zeit fertig ist, sie war begeistert, aber die Umsetzung war gleich null. Ich hab sie in der Musikschule angemeldet: ihr großer Wunsch, ich plane ihre Geburtstagsfeier, ich würde ihr alles ermöglichen, wie sie sich es wünscht. Sie lügt mich an und sagt, dass sie krank ist, ich geh drauf ein und gebe ihr eine Pause, am Abend sagt sie mir, dass es nur gelogen war! Wie schön von ihr! Ich hatte doch nur drei Bedingungen aufgestellt: Hausaufgaben machen, in der Schule mitarbeiten und Zimmer aufräumen; wenn das alles klappt, kann sie von mir haben, was sie will, sagen wir mal: fast alles.
Aber keine von den Aufgaben wird erledigt! Es funktioniert nichts.
Was soll ich denn noch machen?
Antwort:
Das wird schon wieder, lass erst mal das Baby richtig ankommen.“
Es langt, ich mache meine Zimmertür zu. Da hat mir der Erwin in der Schule eine Buchseite in die Hand gedrückt, die hat er aus einem Buch herausgerissen – wo hab ich das denn hingegeben. A ja, da ist es ja, war im Mathebuch.
„Ein alter Indianer erzählt seinem Enkel:
In meiner Brust wohnen zwei Wölfe:
"Einer ist der Wolf der
Dunkelheit, der Angst, des Misstrauens, der
Verzweiflung und des Neides.
Der andere ist der Wolf
des Lichtes, der Liebe, der Lust, des
Vertrauens und der Lebensfreude."
Fragt der Enkel: "Und welcher der beiden wird
gewinnen?"
Der alte Indianer antwortet:
"Der, den ich füttere..."
Ich muss demnächst darüber mit meinen Riesenfreunden reden. Aber was mache ich jetzt mit dem Herrn Pospisil? Denn im Grunde mag ich ihn ja, auch wenn er manchmal vergisst, die Hausschuhe, die er im Laden trägt, umzuziehen, wenn er auf die Strasse tritt. Irgendwie ist er ein Roboter, sparsame Bewegungen, immer rollende Augen, steifer Gang wie auf einer Linie. Wenn meine Schulkollegen das nachahmen, dann ist ihnen der Applaus und das Gelächter sicher, Herr Pospisil freilich wird knallrot im Gesicht und seine wenigen strohgelben Haare scheinen sich zu sträuben. Ich müsste vielleicht einfach zu ihm hingehen und ihn ansprechen, aber das funktioniert nicht, er tut so, als würde er durch mich hindurchsehen und geht seine Linie weiter – ich muss ausweichen. Wen mag er eigentlich? Erwachsene vielleicht ein bisschen, auch wenn er so komische Kleider verkauft, Kinder sicherlich nicht. Ob er Katzen mag? Da habe ich die Idee: Ich vermittle ihm einen Hund!
„Herr Pospisil, vor Ihrer Tür ist ein kleiner Hund an der Leine, der gehört niemandem.“ Er taucht aus seinem Laden auf, die Augen rotumrändert. „Verschwinde.“ „Aber sehen Sie doch der Hund, wie lange soll der noch alleine da angebunden sein?“
Wäre doch gelacht, wenn ich ihn nicht dazu bringen würde, den Hund zu nehmen. Und wenn er erst einmal einen und hat, dann lernt er andere Hundebesitzer kennen, dann reden die mit ihm und er muss mit ihnen reden! Dann könnte er sich auch mit dem Hund unterhalten, wenn einmal niemand in seinem Geschäft steht.
Ich stelle mir das alles sehr lustig vor, aber jetzt muss ich zuerst einmal einen kleinen Hund organisieren, alles Weitere findet sich dann schon. Herr Pospisil könnte direkt menschliche Züge bekommen, vielleicht lernt er sogar lachen.
„Timmy, was träumst du schon wieder?“
„Ich? Nichts.“
„Dann schau, dass du raus kommst an die frische Luft!“
In der Haustür rufe ich noch: „Schon, dass der Hausarrest so schnell vorbei ist!“ und renne weg, so schnell ich kann. Ich höre hinter mir zwar noch eine Stimme, die will, dass ich zurückkomme, aber das muss ich ja nicht gehört haben.
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